SOLO EXHIBITION GALLERY MATHIAS GUENTNER BERLIN
EGLĖ OTTO SIGNIERT IHRE KINDER
2021
Knesebeckstraße 90
10623 Berlin
Germany
Eglė Otto. Ein Name, der falsche Fährten legt. Ein litauischer Frauenname trifft auf einen deutschen Männernamen. Manchmal kokettiert selbst die Signatur mit dieser Uneindeutigkeit, aber anstelle von Herrn Eglė steht man einer Arbeit von Frau Otto gegenüber. Statt einer vereinheitlichten Sicht auf Körper zelebriert ihre Kunst die Vielfältigkeit und Änderbarkeit von Identität. Das Spiel mit ihrem Namen und den damit einhergehenden Genderrollen ist nur ein Hinweis von vielen auf ein wiederkehrendes Symptom in Ottos Kunst: Fluidität.
In den Naturwissenschaften meint Fluidität ein Maß für die Fließeigenschaften beziehungsweise die Fließfähigkeit eines Stoffes. Das Fließvermögen findet sich bei Otto im Wechsel zwischen mehrschichtigen Identitäten und damit in der gesamten Bandbreite ihrer Bildinhalte. Man könnte sagen: Eglė Otto, das sind viele diverse Facetten. Wie in einer Farbpalette fächern sich die einzelnen Nuancen ihrer Selbst in den Werken auf. Da ist die Erfahrung, als junges Mädchen von Litauen nach Deutschland gekommen zu sein. Da ist der damit einhergehende prägende Sprachverlust und Neuerwerb. Da sind die simultanen Rollen als Frau, als Künstlerin und Mutter. All jene Aspekte einer Existenz überlappen sich in ihrer Arbeit. Klar, es handelt sich um abstrakte Malerei. Aber die ist nicht ohne Biografie zu haben. Und schon gar nicht ohne den Rucksack der Kunstgeschichte. Ein Blick auf das großformatige Gemälde mit dem Titel „Die Ungläubige“ verdeutlicht dieses Ineinandergreifen von Dagewesenem und Gegenwart. Der Titel selbst gibt einen Hinweis auf die kunsthistorische Referenz, die durch das bewusste Spiel mit Hell und Dunkel zusätzlich betont wird. Wie die Figurengruppe in Caravaggios Gemälde des Ungläubigen Thomas (1601-02) heben sich auch Ottos Figuren vom Hintergrund ab. Am eindrücklichsten zeigt sich der Caravaggio-Bezug aber am Gestus der rechten Figur, die ähnlich wie auch der ungläubige Thomas bei Jesus den Körper der linken Figur aktiv berührt, sich dessen Körperlichkeit vergewissert. Der Moment der Skepsis ist hier Ausgangspunkt für eine ambivalente Geste zwischen Zärtlichkeit und Gewalt, zeitgleich aber auch die Geburtsstunde des Figurativen im Abstrakten. Denn tatsächlich werden die bunten Farbflächen erst durch dieses prüfende Überschreiten und Ineinandergreifen als handelnde Figuren erkennbar.
Ähnlich wie die Körper ist auch die Sprache selbst fluide: Man könnte von Fleischbergen und Tittentürmen sprechen, oder man hält es weniger vulgär und spricht von Körpermassen und weiblichen Sexualmerkmalen. Man kann das Ganze biologisch betrachten, als Haut, Haar und Körperfunktion. Oder aber philosophisch, als die Wandelbarkeit des menschlichen Daseins. Auch kunsttheoretisch lässt sich darüber sprechen: mit den beiden häufig fallenden Schlagwörtern Form und Farbe, abstrahiert und pastos. Der Farbauftrag ist dabei häufig das Resultat mehrerer Farbschichten, die übereinander liegen. Otto übermalt ihre Leinwände gerne, manchmal nutzt sie auch beide Seiten dafür. Die einzelnen Schichten und Geschichten verändern die Oberfläche und lassen diese uneben werden. Damit bekommt die Leinwand fast schon organische Eigenschaften; wie bei gealterter Haut entsteht eine Anhäufung aus Fältchen, rauen Stellen und kleineren Äderchen. Dreht man etwa „Die Ungläubige“ um, blickt man wie durch ein Fenster in die Vergangenheit in ein Atelier voller junger männlicher Künstler. Diese Arbeit aus Studienzeiten verdeutlicht die frühe Auseinandersetzung mit dem (männlichen) Kanon der Kunstgeschichte. Schon damals schien Otto von einem fluiden Identitätsbegriff beeinflusst. So setzt sie nicht ihre eigene Signatur, sondern die Signatur Picassos unter das Bild und zeigt anstelle der „Les Demoiselles d’Avignon“ im Bordell ihren ganz persönlichen Boys Club im Atelier. Die Position der Künstlerin in Gegenwart und (Kunst-)Geschichte ist auch das Thema einer zweiteiligen Fotoarbeit mit dem Titel „Eglė Otto signiert ihre Kinder“, welche die Künstlerin bei eben dieser Tätigkeit zeigt. Als direkte Anlehnung an den italienischen Konzeptkünstler Piero Manzoni macht sich Otto erneut den Machtgestus der Signatur zu eigen, erklärt sich selbst zur Urheberin und damit ihre Kinder zum Kunstwerk. So stellt sich die Künstlerin einerseits in die Tradition kunsthistorischer Vorbilder und macht andererseits deutlich, dass sie nicht ausschließlich als Künstlerin, sondern ebenso als Mutter ihren Platz einnimmt. Aus der Mutterrolle ergibt sich auch die pragmatische Wiederverwertung von alten Strumpfhosen, aus denen die Kinder herausgewachsen sind. Eine zu klein gewordene Kinderstrumpfhose wurde von Otto als Maltuch verwendet und entwickelte sich schließlich – getränkt in Farbe und über eine kleine Leinwand gezogen – zum Ausstellungsobjekt. „Lágrimas de una madre“, also das Weinen einer Mutter, heißt die Arbeit und ist Ausdruck und Beweis für eine bestimmte Phase im Leben der Künstlerin.
Eglė Ottos neuste Serie beschäftigt sich hingegen mit Varianten des immer gleichen Sujets: Die Seitenansicht einer hockenden Figur mit Hut. Diese Hutfiguren sind androgyn und in ihrer Körperlichkeit zurückgenommen. Im Fokus steht stattdessen ein harmloses Kleidungsstück, das zugleich ein Politikum ist: Der Hut, der mehr ist, als bloß Schutz für den Kopf. Als Kopfbedeckung steht er symbolhaft für Selbstermächtigung, aber auch für Unterdrückung. Hut und Hocke verdecken große Teile der Gestalt, gleichzeitig rückt die Körperempfindung dank detaillierter Darstellungen von Haarsträhnen und textilen Strukturen in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Und während man sich fragen kann, ob es sich wirklich um Hüte, Haaransatz oder doch eine Penisspitze handelt, wird einem bewusst, dass sich das Symptom der Fluidität bei Otto durch alle Schaffensphasen, Bildinhalte und Formate zieht. Ob mehrfach übermalt, umgedreht, wiederholt oder auch ganz neu.
Text zur Ausstellung: Anna Linder